Interview mit Elisabeth Traintinger, Lehrerin der ersten Klasse der Rudolf Steiner Schule Salzburg

Elisabeth Traintinger ist seit September 2019 an unserer Schule tätig. Nach dem Diplom an der Modeschule Hetzendorf und dem Bachelor in Kommunikationswissenschaft, war sie im Kultur- und PR-Bereich tätig, zuletzt rund zehn Jahre für das Österreichische Olympische Comité in Wien. In dieser Zeit hat sie berufsbegleitend das Sonderschullehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich (Baden) absolviert. Mit der Ausbildung zur Waldorflehrerin hat Elisabeth Traintinger 2018 begonnen.

Liebe Frau Traintinger, Sie sind in Salzburg aufgewachsen und nun nach vielen Jahren in Wien wieder zurückgekommen. Sie haben eine ungewöhnliche Reise unternommen und gelten sozusagen als Quereinsteigerin. Im September dieses Schuljahres sind Sie mit Ihrer Klasse gestartet, nach wenigen Monaten musste aufgrund der Corona-Krise die Schule geschlossen werden. Die letzten Wochen sind für uns alle eine besondere Zeit mit speziellen Herausforderungen. Uns interessiert, wie Sie und Ihre Schüler*innen damit zurechtgekommen sind.

Vermissen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler?
Auf jeden Fall, darum habe ich sie auch alle über den Gartenzaun und mit genügend Abstand besucht. Ich wollte unbedingt sehen, wie es ihnen geht und sie sehen gesund und munter aus. Es geht ihnen richtig gut und das freut mich sehr.

Wie halten Sie Kontakt mit Ihrer ersten Klasse? Ist das digital überhaupt möglich?
Ich halte einerseits Kontakt über die Eltern und zwar per E-Mail oder telefonisch, andererseits habe ich jedem Kind vor Ostern einen Brief mit einer kleinen Geschichte sowie einer kleinen Origamibastelei übermittelt. Da ich in der Grundstufe von Video-/Onlineunterricht und -kontakt mit den Kindern absehe, habe ich nach Ostern alle Kinder, außer jene, die in Deutschland zu Hause sind, am Gartenzaun bzw. an der Wohnungstür besucht. Der Osterhase wusste leider nicht, dass die Kinder daheim sind und hat Geschenke in der Klasse hinterlassen. So habe ich auch gleich den Ostergruß mit Unterrichtsmaterial verteilen können. Es war sehr schön, alle Eltern und Kinder persönlich anzutreffen.

Vielleicht fragen sich manche, warum ich vom digitalen Unterricht in der Grundstufe noch absehe: Zur Verwendung digitaler Kommunikationstechnologien für den Unterricht geht die Waldorfpädagogik nämlich einen „umgekehrten“ Weg: Es wird nicht von bild- und tonschaffenden Geräten ausgegangen und wir beginnen nicht, die Kinder an diese Geräte heranzuführen, sondern es ist umgekehrt. Daher üben die Kinder zuerst ihre eigenen Erzeugnisse herzustellen, bevor sie sich der technischen Mittel bedienen. Im pädagogischen Kontext ist es so zu sehen, dass wir in der Grundstufe an einer gesunden leiblichen und seelischen Entwicklung der Kinder arbeiten; so müssen beispielsweise erst alle Sinne geübt und angesprochen werden, sodass zu einem späteren Zeitpunkt ein guter und bewusster Umgang mit den digitalen Medien gefunden werden kann.

Wie sehen Sie diesen Start in das Schulleben für Ihre erste Klasse?
Ich habe immer wahrgenommen, dass die Kinder vom ersten Schultag an bis zu dem Tag der Schulschließung im März noch immer mit Freude, Begeisterung und Lernbegierde in die Schule gekommen sind. Das war von einem Moment auf den anderen unterbrochen. Ich war sehr traurig, dass ich die lieben Kinder auf eine unbestimmte Zeit nicht mehr sehen sollte und nicht an einen gemeinsamen Unterricht zu denken war. Auch die Eltern befanden sich in einer Art Ausnahmezustand, denn wie sollen Beruf, Schulkinder in unterschiedlichen Schulstufen mit Homeschooling unter einen Hut gebracht werden? Doch was blieb uns anderes übrig, da half auch keine 1. Klasse-Sentimentalität. Ich habe jedoch Glück, denn die meisten Eltern haben durch Geschwisterkinder oder Tätigsein im Waldorfumfeld einen Einblick in die Waldorfpädagogik. So kann und konnte das Lernen zu Hause von den Eltern entsprechend gut angeleitet werden. Der Fokus lag dabei auf Wiederholen und Festigen des bisher Erlernten. Ich bin ehrlich gesagt sehr begeistert, mit welchem Engagement dies die Eltern meiner Schulkinder gemacht haben, denn es ist nicht leicht, von einem Tag auf den anderen Mamalehrer oder Papalehrer zu werden, schon gar nicht, wenn dann die Motivation nicht besonders hoch ist und es dann noch heißt „Aber die Frau Traintinger hat gesagt …“

Gibt es Ihrer Meinung nach Vorteile der Waldorfschule im Vergleich mit staatlichen Schulen in dieser Zeit der Corona-Krise?
Ich finde Vergleiche oft schwierig, da ich weder mit Volkschullehrer*innen gesprochen habe noch Kinder kenne, die derzeit in die Volksschule gehen. Vielleicht haben Pädagoginnen und Pädagogen in der Waldorfschule in so einer Situation mehr Mitgestaltungsmöglichkeit in der Umsetzung der seitens der Regierung vorgegebenen Rahmenbedingungen. Einen Vorteil könnte ich im Lehrplan sehen, denn wir haben zwei Jahre Zeit, dass die Kinder das Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, und dadurch kann ich den Eltern den Druck nehmen, alle von mir zur Verfügung gestellten Übungen genau durchführen zu müssen.

Welche Auswirkungen wird diese Zeit aus Ihrer Sicht auf die Klassengemeinschaft haben?
Nun, Sie müssen sich das so vorstellen: in der ersten Klasse einer Waldorfschule wird Vieles gemeinsam gemacht, Aktivitäten und Rituale lassen nach und nach eine Klassengemeinschaft entstehen. Tätigkeiten, die Motorik, Sinneswahrnehmungen und Takt schulen, werden als Gruppe absolviert. Auch wenn malen, stricken, schreiben, rechnen usw. dann eigentätig erfolgen, so ist es die gemeinschaftliche Atmosphäre, die die Kinder immer wieder zum Tun motiviert. Die Abläufe, die das Lernen in so einem Rahmen ermöglichen, werden im Laufe des ersten Semesters gut eingeübt und im zweiten Semester kann darauf aufbauend schon besser, intensiver gelernt werden. Wir waren mittendrin als das gemeinsame Lernen von einem Moment auf den anderen unterbrochen wurde. Das heißt, die gemeinsamen Aktivitäten in der Klasse werden wie eben beschrieben fortgesetzt, sodass das Gebilde Klassengemeinschaft trotz Teilung schnell wieder aufleben wird, da bin ich mir sicher. Immerhin kennen sich die Kinder mittlerweile und freuen sich aufeinander nach dieser langen Zeit daheim.

Wie kann der Unterricht gelingen, auch wenn viele hygienische Vorgaben und Abstandsregeln eingehalten werden müssen?
In der ersten Klasse habe ich ein ganz besonderes Glück: Die Klassenlehrerin bzw. der Klassenlehrer ist eine ausgesprochen wichtige Bezugsperson, an der sich die Kinder sehr stark orientieren. Bereits vor der Schulschließung hat das Händewaschen wunderbar geklappt, wir haben einander auch kontaktlos begrüßt. Bei meinen Besuchen habe ich festgestellt, dass die Kinder das Husten und Niesen in die Ellenbeuge weit besser beherrschen als ich. Mit meiner Hilfe werden sie es bestimmt gut schaffen, die Abstandsregeln einzuhalten. Dennoch werde ich hier Augenmaß walten lassen, weil es eben Kinder im Alter von 6 bis 7 Jahren sind.

Was ist Ihr Rat an die Eltern, besonders im Hinblick auf die Wiedereröffnung der Schule Mitte Mai?
Ich habe festgestellt, dass sich manche Eltern große Sorgen machen, ob ihre Kinder hinsichtlich des Lernstoffes Anschluss finden. Manche haben beobachtet, dass ihre Kinder beim Lesen, Schreiben oder Sprüche sprechen nicht so intensiv eintauchen. Das ist klar, denn es fehlt den Kindern der Lehrer bzw. die Lehrerin und ganz besonders die Gemeinschaft, in der sie auch durch unmotivierte Momente getragen werden. Im Zuge meiner Besuche konnte ich beobachten, dass viele Familien in dieser Ausnahmesituation auch wieder gut zusammenfinden konnten und alleine dadurch die Kinder viele Dinge gelernt haben. Als ich die Kinder meiner Klasse besuchte, habe ich festgestellt, dass sie nicht nur tüchtig die von mir gestellten Aufgaben gemacht haben, sie sind innerlich wie äußerlich gewachsen; die Eltern haben da viel richtig gut gemacht. Mein Rat an die Eltern? Keinen Stress bezüglich des Lernstoffes, Ihre Kinder schaffen das.

Was ist Ihr größter Wunsch für die Schule?
Mein größter Wunsch ist, dass diese Ausnahmezeit u.a. hinsichtlich Homeschooling evaluiert wird und aus den Erfahrungen und Erkenntnissen neue Wege beschritten werden können. Ob das Gleitzeit beim Unterrichtsbeginn oder -ende ist, ob das ein klassenübergreifendes Lernen ist wie zum Beispiel bei den Sprachen oder die Förderung des selbstständigen Lernens, wir konnten durch den erzwungenen Stillstand einen neuen Blick auf unsere Schule bzw. auf den Unterricht bekommen. Warum nicht das, was gut funktioniert hat, fortführen. Wann, wenn nicht jetzt?

Und zum Abschluss würde uns noch interessieren, ob Sie selbst auf eine Waldorfschule gegangen sind?
Jetzt, da ich 40 bin, finden meine Eltern auch, ich hätte auf eine Waldorfschule gehen sollen.

Liebe Frau Traintinger, vielen Dank für den Einblick und ein schönes Wiedersehen mit Ihrer ersten Klasse!